In Vorbereitung der “Zürcher Prozesse” wird am 30. April um 20.00 Uhr im Theater Neumarkt Zürich”Breiviks Erklärung” einmalig aufgeführt. Es folgt eine Podiumsdiskussion mit SVP-Kantonsrat Claudio Zanetti und Kurt Imhof, Professor für Soziologie und Publizistikwissenschaft an der Universität Zürich. Zanetti und Imhof sind Teilnehmer an den “Zürcher Prozessen”.
BREIVIKS ERKLÄRUNG
Öffentlicher Filmdreh
Mit Sascha Ö. Soydan Konzept und Regie Milo Rau Recherche Tobias Rentzsch Ausstattung Anton Lukas Video Markus Tomsche Ton Jens Baudisch Produktionsleitung Mascha Euchner-Martinez
AUF DEM PODIUM
Claudio Zanetti, SVP-Kantonsrat und Jurist
Kurt Imhof, Professor für Soziologie und Publizistikwissenschaft an der Universität Zürich
Sascha Ö. Soydan, Schauspielerin und Performerin
Milo Rau, Regisseur und Leiter des IIPM – International Institute of Political Murder
Die Zürcher Prozesse sollen ein Panoptikum der Schweiz der letzten zwanzig Jahre zeigen. Von der EWR-Abstimmung über die Minarett Initiative bis heute. Zu diesem Zweck sind wir mit Dutzenden, ja eigentlich Hunderten von Leuten in Kontakt getreten und haben sie eingeladen, dabei zu sein. Und wie Milo Rau bereits zur Entstehungsgeschichte der Moskauer Prozesse zu Protokoll gegeben hat, gab es auch hier nebst vielen spontanen Zusagen viele Absagen, viele Zusagen, die zu Absagen wurden und viele Absagen, die zu Zusagen wurden. Aus den vielfältigsten Motiven möchte ich vor allem zwei signifikante und immer wiederkehrende herausgreifen.
Auffallend war, wie viele Leute davon überzeugt waren, dass sie in der Weltwoche an den Pranger kämen, sobald sie bei den Zürcher Prozessen mitmachten. Trotz unserer beschwichtigenden Worte mussten wir immer wieder feststellen: Diese Angst entsprang keiner wagen Befürchtung, sondern es war so etwas wie Gewissheit. Die einen hat dies wohl zur Absage bewogen, die anderen sagten trotzdem zu. Soviel zur emotionalen Besetzung des Themas bei den Protagonistinnen und Protagonisten.
Eine zweite Beobachtung. Es handelt sich dabei quasi um den Schweizer Klassiker unter den Reaktionen auf die Ankündigung eines Wagnisses: „Au pass uuf, da chönt nach hine loos goh.“ In verschiedensten Varianten wurde diese Angst vorgebracht, oft verbunden mit einer Erörterung, warum die Rechten bei solchen Sachen immer gewinnen.
Doch eigentlich ist diese permanente Angst, dass irgendetwas „nach hinten losgehen könnte“, ein grosses Rätsel. Es muss irgendwie mit der Söldnervergangenheit in diesem Land zu tun haben: Die Angst des Kanoniers beim Zünden der Lunte. Vielleicht liegt das Problem auch darin, dass bei vielen oft eine grosse Ignoranz herrscht gegenüber den Faszinationskräften, die die Leute an rechte Diskurse binden. Denn es geht nicht um Hirngespinste, sondern um reale Motive. Und angeboten werden reale Lösungen. Die meisten werden nicht verführt, sie entscheiden sich willentlich dazu, einer beispielsweise national-konservativen Position zu folgen. Wer sie zurück gewinnen will, braucht nicht nur bessere Argumente, sondern den besseren Glauben oder das grössere Engagement. Das heisst, man braucht Konfrontation statt Ignoranz.
Wer Anfang Mai im Neumarkttheater gewinnt, ist zweitrangig. Im besten Fall kann man zwei Überzeugungen an der Arbeit sehen und erkennen, dass keine totzukriegen ist, weil beide eine reale Basis haben. Das bedeutet für diesen Prozess, dass es nicht um das Vertreten von Meinungen geht, sondern darum, die Meinungen in ihrer Entfaltung zu zeigen. Das wahre Drama, sagt Hegel, zeigt nicht die Durchsetzung einer guten Meinung gegen eine schlechte, sondern es zeigt zwei Standpunkte, die im Clinch liegen und sich gegenseitig nicht aufheben können. Interessant auf der Bühne ist dieser Kampf – und den kann der Rechtsstaat nur in den seltensten Fällen zeigen.
continue reading »Ein Anklagepunkt bei den Zürcher Prozessen ist der Verstoss gegen die Antirassismus Strafnorm. Doch was hat es auf sich mit dem Vorwurf des Rassismus in der Schweiz? Wie wird er erhoben und was sind die Reaktionen darauf? Folgender Fall bietet reichen Anschauungsunterricht, worum es dabei gehen kann und weshalb die Dinge komplex sind.
Im Jahr 2005 wurde ein Ehepaar im Toggenburg Opfer von rassistischen Beschimpfungen. Eine schwarze Frau aus Südafrika und ihr Schweizer Ehemann erhielten Briefe mit folgenden Inhalten: „Bleib dort wo du bist mit den Niggern / Hier wollen wir keine Klugscheisser vom Busch als Arzt mit schwarzen Pfoten / Wir machen euch das Leben zur Hölle.“ (Der Historiker Georg Kreis beschreibt diesen Fall ausführlich in seinem Buch „Kein Volk von Schafen – Rassismus und Antirassismus in der Schweiz“.)
Zeitung und TV berichteten prominent über die rassistischen Attacken. Breite Teile der Bevölkerung solidarisierten sich mit den Opfern in einer Demo. Man fühlte sich von aussen angeschwärzt. Selbstverständlich war man bemüht, den Schaden in Grenzen zu halten und hoffte auf eine Einzeltäterschaft, damit nicht das ganze Tal in Rassismusverdacht gerate. Hannes Nussbaumer nährte genau diesen Verdacht im Tages Anzeiger, indem er von anderen rassistischen Vorfällen im Toggenburg berichtete. Die Täterin aber wurde ermittelt: Eine ehemalige Patientin des Arztes hatte die Briefe geschrieben.
Zwei Monate später erschien in der Weltwoche ein Artikel von Alex Baur, worin er den Spiess umdrehte und die Schuld dem Arzt zuschob, der die besagte Patientin unsachgemäss behandelt habe und diese sich wohl über diese Attacken zu wehren gewusst hätte. Statt „Rassismus im Toggenburg“ könne man jetzt „Unfähiger Therapeut und arme Frau im Toggenburg“ titeln, schrieb Andreas Fagetti im St. Galler Tagblatt. Er brachte damit die politische Wirkung auf den Punkt, die Baurs Artikel haben würde. Toni Brunner jedenfalls, damals Chef der St. Galler SVP, hatte verstanden und liess den Weltwoche-Artikel als Inserat in alle Toggenburger Haushalte verteilen.
Andreas Fagetti hat mit grosser Ausdauer in diesem Fall recherchiert und brachte mehrere Ungereimtheiten bei den Polizeiuntersuchungen und im Bericht von Alex Baur zu Tage. Beispielsweise gab es DNA-Spuren vom Ehemann auf den Briefen, denen die Polizei nicht weiter nachgegangen war. Sie hätten wohl die These von der psychisch gestörten Frau als Einzeltäterin ins Wanken gebracht. Fagetti fand auch heraus, dass die Frau bereits in einem früheren Fall Drohbriefe versandt hatte, was Baur in seinem Bericht unterschlagen hatte; seine These von der „Notwehr“ der armen Patientin hätte damit wohl nicht mehr gestochen. Zudem ist Baurs Empathie für die Täterin erstaunlich, entschuldigte er ihr Fehlverhalten doch mit fremdbestimmten Erlebnissen in der Vergangenheit. Eine Entschuldigung, die in der Weltwoche normalerweise in Frage gestellt und mit Hinweis auf die Eigenverantwortung der Täter abgewiesen wird.
Schliesslich veröffentlichte Baur im St. Galler Tagblatt einen langen Leserbrief als Gegendarstellung zu Fagettis Berichterstattung. Eine Antwort darauf wurde Fagetti verweigert. Überhaupt bedeutete ihm der Chefredaktor des St. Galler Tagblatts, das er den Fall nun ruhen lassen solle. Wollte man – wohl der heterogenen Leserschaft zuliebe – es nicht mehr allzu genau wissen? Das Toggenburg war ja rehabilitiert. Was die rassistischen Briefe vorbereitet hatten, vollendete der Vorwurf der krassen Fehlbehandlung, der die Weltwoche erhob: Der Arzt ist bald nach diesen Vorfällen mit seiner Familie ausgewandert. Und Toni Brunner konnte sich als Verteidiger seiner Heimat gegen Verleumdung empfehlen.
Wollte man aus der Distanz diesen Fall beurteilen, so müsste man folgende Aspekte berücksichtigen:
1. Es gibt deshalb eine rechtliche Grundlage in der Schweiz, um ethnische Minderheiten vor rassistischen Attacken zu schützen, weil es solche Attacken gibt. Die Medien haben entsprechend einen Auftrag, solche Vorfälle publik zu machen. Andererseits gibt es verschiedene Reizwörter, die den Medien erhöhte Aufmerksamkeit zusichern und die Versuchung daher gross ist, diese im Zweifelsfalle auch unbedacht in den Vordergrund zu rücken. Rassismus ist so ein Wort.
2. Es gibt ein legitimes Misstrauen der Landbevölkerung gegen Besserwisser aus der Stadt, die schnell mit ihren Kategorien zur Hand sind, ohne sich ums örtliche Mikroklima zu scheren. Andererseits gibt es ein legitimes Misstrauen der Journalisten gegen Behördenfilz und implizite Komplizenschaft der Bevölkerung. Je kleiner die Verhältnisse, desto grösser die Berechtigung für dieses Misstrauen.
3. Meistens sind es psychisch „gestörte“ Einzeltäter, aber die schnelle These von der Einzeltäterschaft ist der Wunsch, die Sache sauber erledigen zu können und das instinktive Zusammenrücken der Bevölkerung angesichts einer drohenden Kollektivschuld.
4. Selbstverständlich trifft die Toggenburger keine explizite Schuld an diesem Fall und selbstverständlich ist das Toggenburg kaum signifikant rassistischer als andere Regionen. Andererseits gilt zu bedenken, was Georg Kreis zur Verstrickung der Gesellschaft in rassistische Vorkommnisse schreibt: „Das gestörte Handeln wird in solchen Fällen als irrational bezeichnet. Derweil ist dieses Handeln insofern durchaus rational, als es der gesellschaftlichen Ratio folgt, die (…) direkt und indirekt immer wieder die Positionen benennt, an denen man sich vergreifen möge, wenn man ein irrationales Protestbedürfnis hat. Das gesellschaftliche Umfeld ist nicht verantwortlich für gestörte Täter, es hat aber eine gewisse Verantwortung gegenüber den von der Gesellschaft vorweg benannten Adressen, derer sich die Täter dann bedienen.“
5. Es gilt hier und auch bei anderen Fällen: Wo Rassismus gerufen wird, geht es nicht nur um Rassismus, sondern sehr oft auch um andere Dinge. Doch ebenso gilt: Wer nur auf diese anderen Dinge hinweist, dem geht es wohl auch darum, vom Rassismus zu schweigen.
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Wie man bei den “Moskauer Prozessen” – dem Vorgängerformat zu den “Zürcher Prozessen” – erfahren konnte, werden in Russland Leute, die auf westliche Bürgerrechte wie Pressefreiheit, Freiheit der Künste und Meinungsfreiheit pochen, allen Ernstes als Liberalfaschisten bezeichnet. Dies ist zwar in der historisch bestimmten Variante, wie Faschismus hierzulande gebraucht wird, total unlogisch, hat aber trotzdem eine Logik. Wenn Faschismus etwas zu tun hat mit der Diktatur der Mehrheit gegen eine Minderheit oder mit der biologisch legitimierten Rücksichtslosigkeit des Stärkeren gegen den Schwächeren, dann ist er universal verwendbar. Für den von allen Segnungen westlicher Kultur abgeschnittenen russischen Landbewohner, der sich innerhalb eines von Zerfall bedrohten Landes den bewährten Institutionen Staat und Kirche anvertraut, ist es beispielsweise plausibel, wenn das, was sein Land im „Grossen Vaterländischen Krieg“ bedrohte, der Faschismus, und das, was sein Land seit 1991 bedroht, der Liberalismus, irgendwie zusammen gehören.
Dass die Faschisten eher in ihren eigenen Reihen zu finden wären und die Liberalen in Russland eine unglaublich kleine Minderheit sind, spielt dabei keine Rolle. Denn Minderheit und Mehrheit sind, wie man weiss, keine numerischen Kategorien. Wer glaubt, sich wehren zu müssen, ist immer in der Minderheit. Minderheit sein ist daher eine ganz und gar objektive Kategorie genauso wie Schuld in den Schauprozessen unter Stalin. Die Angeklagten konnten sich noch so anstrengen, ihre subjektive Unschuld zu beweisen, sie waren in der herrschenden kommunistischen Unlogik immer schon schuldig. Genauso sinnlos ist es, den gefühlten Minderheiten beweisen zu wollen, dass sie eigentlich in der Mehrheit sind und sie es sind, die den Bär tanzen lassen. Denn wie im Schauprozess gerade die stichhaltigsten Beweise für die Unschuld des Angeklagten umso sicherer seine Beteiligung an der grossen Verschwörung bestätigten, so kann in der Logik der gefühlten Minderheit ja nur eine Mehrheit so mächtig sein, die Fakten so zu drehen, dass sie selber als verfolgte Minderheit erscheint. Dies erklärt einerseits, weshalb es mit dem so hochgelobten Minderheitenschutz in der Demokratie eine so vertrackte Sache ist; und andererseits wie es dazu kommen kann, dass beispielsweise eine einflussreiche Zeitung wie die “Weltwoche” sich als Minderheit in einem von ihr ausgerufenen linken Medienmainstream sieht und es sich gleichzeitig zur Aufgabe gemacht hat, andere Minderheiten zu dekonstruieren.
Und der Liberalfaschismus? Die Liberalen würden sagen: „Die Welt steht dir offen. Du hast genug Möglichkeiten, Mehrheiten zu schmieden und dich an Mehrheiten anzuschliessen. Aufklärung ist der Ausgang aus der selbstverschuldeten Minderheit.“ Die Faschisten würden sagen: „So ist eben die Welt, das sind die Fakten, die einen gewinnen und die anderen verlieren, keiner kann anders als er ist.“ Diejenigen aber, die Ersteres zu den Losern sagen und Letzteres für sich selber glauben, wären nach der universalen Logik Schewtschenkos die Liberalfaschisten.
Schewtschenko würde das wahrscheinlich kaum so sagen, dafür die westliche Liberalismuskritik. Nur die Logik ist dieselbe. Ist das nun ein Sieg für die “Weltwoche”?
Rolf Bossart, Publizist und Dozent, ist Berater des IIPM für u. a. die “Zürcher Prozesse”. Zum Begriff des Faschismus vgl. auch den Essay “Nachmittag eines Linksfaschisten”, zum Begriff des “Liberalfaschismus” speziell das Deutschlandfunk-Hörspiel “Russische Kulturkämpfe”.
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Constantin Seibt, Tages Anzeiger- und ehemaliger WoZ -Journalist , hat Mitte November 2012 bei einer geschlossenen Veranstaltung der Medienvielfalt Holding AG (der Besitzerin der Basler Zeitung) einen Vortrag gehalten zur Rolle der Medien in der Demokratie und auf seinem Blog veröffentlicht. Seibt nahm kein Blatt vor den Mund. Er empfahl der Weltwoche und der Basler Zeitung, den Betrieb einzustellen, da ihre Ziele wie Deregulierung und Stärkung von finanzkräftigen Individuen mit einer starken Rechtspresse gut, mit gänzlich uninformierten Leuten aber noch besser zu erreichen sei. Er warf der Weltwoche vor, zu einem Glaubensblatt geworden zu sein, das den kritischen Journalismus, der auf der Basis von Fakten operiert, ersetzt hat durch die dogmatische Methode der konstanten Verkündigung des Gegenteils eines durch die Weltwoche definierten Mainstreams.
Roger Köppel hat Seibt im Tages Anzeiger geantwortet und darauf bestanden, dass die Weltwoche streng auf Fakten setze, indem sie blinde Flecken im ideologisch gefärbten Mainstream-Denken, „unter dem ich die zufällig von einer Mehrheit der Journalisten für wahr gehaltene Beschreibung aktueller Themen verstehe“, aufdecke, wohingegen gerade Seibt ein reiner Meinungsschreiber sei.
Hat Köppel damit nicht prinzipiell recht? Ist es nicht tatsächlich so, dass sich die Weltwoche viel eher auf Fakten stützen kann als beispielsweise die WoZ oder irgendein anderes Medium, das von sich behauptet, der Herrschaft gegenüber kritisch zu sein? Denn das, was herrscht, sind immer die Fakten. Der Gegner des linken Journalisten ist die Herrschaft des Faktischen. Das heisst, die Fakten sind a priori mit der Rechten und die Linke ist darauf angewiesen kontrafaktisch zu denken. Doch noch in einem zweiten Sinn liegt Köppel mit seiner Insistenz auf das Faktische richtig. Der sogenannte Mainstream, gegen den seine Zeitung anschreibt, ist nichts anderes als eine Art Stream of consciousness jener Vernunftvariante, die der bürgerliche Humanismus in den letzten fünfhundert Jahren hervorgebracht und die sich in vielen liberalen Presseerzeugnissen erstaunlicherweise und zugleich nützlich gehalten hat. Gemessen an den Realitäten des Raubtierkapitalismus war und ist dies aber eine eher idealistische Angelegenheit, wohingegen der stream of unconsciousness des „Volksempfindens“, in den sich die Weltwoche stattdessen einschreibt, viel eher eine reale Basis hat. Denn der sich ohne alle Arbeit des Begriffs entfaltende gesunde Menschenverstand liefert die Fakten für Köppels Journalismus aus praktischer Anschauung. Wie leicht im eigenen Weltbild jener ein Betrüger, diese eine Verräterin und das Establishment zu verachten ist, weiss jeder, der sich selber ein wenig ehrlich erforscht und die eigenen spontanen Regungen auch als Teil von kollektiven Denkgewohnheiten lesen mag. Dass Misstrauen und die Skepsis , die Köppel, dem Journalismus verschreibt, hätte vor allem ein Misstrauen gegen sich selber zu sein, um sich das Ressentiment zu verbitten, das einem aus der Faktenlage entgegentritt. Der kritische Journalismus lässt nicht die Fakten sprechen, sondern ringt, was er zu sagen hat, ihnen ab. Er spannt wie Zizek sagen würde, die Fakten auf die Folter und vertritt das „Geständnis“, das ihm auf diese Weise zufällt, als persönliche Erkenntnis. Das ist wohl der Vorgang, den Seibt meint, wenn er am Anfang seiner Rede etwas unvermittelt das Hohe Lied auf den einsamen Journalisten als singuläres Individuum anstimmt, dem die Wahrheit in seiner Kammer ekstatisch geschenkt wird. In Seibts Texten finden sich immer wieder Spuren davon: „Denn bei den spektakuläreren Momenten des Schreibens, den Momenten der Erkenntnis, des Zorns, des Witzes ist man ganz bei sich und das ist gut so.“ Die heroische Einsamkeit als Folge der Verkündigung der Wahrheit gegen den Mainstream, mit der Köppel kokettiert, fungiert hier umgekehrt als Voraussetzung für die Wahrheitsfindung.
Roger Köppel verkennt, wen er vor sich hat. Er liest Seibt nicht genau genug, wenn er in dieser Debatte Fakten gegen Meinung stellt. Besser passen würde subjektiv gegen objektiv in jenem verdrehten Sinn, den Adorno in den beiden Begriffen fand: „Die Begriffe des Subjektiven und Objektiven haben sich völlig verkehrt. Objektiv heisst die nicht kontroverse Seite der Erscheinung (…) die aus klassifizierten Daten gefügte Fassade, also das Subjektive“, beziehungsweise in Köppels Terminologie die Fakten, „und subjektiv nennen sie, was (…) in die spezifische Erfahrung der Sache eintritt (…)und die Beziehung auf den Gegenstand anstelle des Majoritätsbeschlusses derer setzt, die ihn nicht einmal anschauen, geschweige denken – also das Objektive“, bei Köppel die Meinung. Und daher gleichen die Fakten, mit denen die Weltwoche hausieren geht, dem, was der Kleinbürger Erfahrung nennt, nämlich das, was ihm ständig widerfährt und das er, weil er es nicht ändern kann, als einzige Wirklichkeit gutheisst.
Köppel ist zu klug, um an seine eigenen Ressentiments zu glauben. Doch indem er der sogenannt schweigenden Mehrheit, für die er zu sprechen meint, diesen Glauben unterstellt und als Rückversicherung für seine Behauptungen einsetzt, ereilt ihn das Schicksal jedes Zynikers. Weil er selber nichts zu vertreten hat, tritt oder vertritt er wahlweise die Sache anderer. Seine methodische Indifferenz ist die indifferente Methode des Herrschenden. Den Spot über die nutzlosen Illusionen der Linken erkauft er sich mit dem Kältestrom reiner Faktizität, welche im mythischen Zeitalter der Wille des Schicksals, im faschistischen der Wille der Eingeborenen, im kapitalistischen die Kosten-Nutzen Rechnung ist und heute natürlich von allem etwas. Weil der Zyniker sich nicht das Ressentiment verbietet, sondern die Hoffnung, es durch denken zu überwinden, hält er alle Versuche der Menschen, ihr Dasein mit Würde aufzubessern und ihre Welt unter ethischen Gesichtspunkten zu betrachten, für schändliche Lüge und pflegt stattdessen den Jargon der Eigentlichkeit. Der Arme ist eigentlich ein Schmarotzer, die Sozialarbeiterin eine dümmliche Narzisstin, die aufgerissene Einkommensschere, eine Zunahme des durchschnittlichen Reichtums. Köppels Weltwoche hat in diesem Sinn nur kalte Fakten zu bieten, das heisst solche, die dem Status quo dienen, wenn auch gut verpackt im heissen Kokon der Wut auf die sogenannten Hüter des gesellschaftlich noch vorhandenen Triebverzichts.
Dass die Weltwoche dennoch ab und zu zur Faktenverdrehung greifen muss, ist ihre Schwäche, die zugleich die Lücke im System der Herrschaft des Faktischen ist. Das heisst, wo der objektive Geist sich nicht selbstverständlich als ein solcher verkaufen kann, sondern als ideologische Konstruktion sichtbar wird, hat das Blatt ein Problem. Die Langeweile, von der Seibt spricht, ist keine ideologische Phrase, sondern das Gefühl, das die hier zu Tage tretende Angestrengtheit, verbreitet. Anders gesagt, wenn Seibt, der tatsächlich auf Erkenntnis und Erfahrung aus ist, sich langweilt, dann ist die Faktenlage für die Weltwoche schlecht. Seibt, selber so wenig ideologisch wie Köppel, selber zuweilen auf dem Grat zwischen Ekstase und Zynismus, und daher wohl (wie ich selber) auch nicht ganz ohne Anerkennung für die kühle Brise und die gute Laune, die in der Weltwoche aufscheint, hat offensichtlich in den eloquenten und mit der weltläufigen Lust des bad guys präsentierten Texten Köppels etwas Entscheidendes nicht gefunden. Es ist wohl dasselbe, was ihn in absoluter Form beim Chefredakteur der Basler Zeitung, Markus Somm, den er einen Prediger nennt, abstösst: Eine existentielle Involviertheit in die Sache, die weder wie Somm die Ratio an den puren Glauben verrät, noch wie Köppel den Glauben an die pure Ratio.
Wenn in Köppels Antwort schliesslich eine gewisse Kränkung nicht zu übersehen ist, könnte das damit zu tun haben, dass seine Achtung, die er zweifellos vor Seibt hat, nicht wie erwartet hinter vorgehaltener Hand quittiert, sondern mit dieser Rede in einem öffentlichen Befreiungsschlag zurückgewiesen wurde.
Rolf Bossart, Publizist und Dozent, ist Berater des IIPM für u. a. die “Zürcher Prozesse”.
continue reading »Seit 80 Jahren ist sie aus dem Schweizer Journalismus nicht mehr wegzudenken: An der Schweizer Wochenzeitung „Weltwoche“ scheiden sich die Geister, insbesondere seit 2001 Roger Köppel als neuer Chefredaktor das Blatt politisch um 180 Grad drehte. Für die einen ist die „Weltwoche“ die letzte Bastion gegen den linken Mainstream, für die anderen ein verfassungsfeindliches Hetzblatt und verkapptes Parteiorgan der SVP, das man vernünftigerweise mit Nichtbeachtung strafen sollte. Und jenseits Schweizer Grenzen staunt man, teils unverhohlen schockiert, teils unverhohlen beeindruckt, welche Themen und Thesen da offen verhandelt werden.
Milo Rau – „Hate Radio“, „Breiviks Erklärung“ – macht nun der „Weltwoche“ auf der Theaterbühne den Prozess. Nach den „Moskauer Prozessen“ (1.-3. März 2013, Sacharow- Zentrum Moskau) sind die „Zürcher Prozesse“ das zweite an einen Gerichtsprozess angelegte Diskussions-Format des Schweizer Regisseurs. Theater und Gericht stellen als kathartische Medien die Frage nach der Funktion von Journalismus in einer modernen, westeuropäischen Gesellschaft. Es steht Grundrecht gegen Grundrecht, die Pressefreiheit gegen den Schutz von Minderheiten in einem freiheitlichen Staat wie der Schweiz. Vor einer repräsentativ ausgewählten Jury verhören echte Anwälte echte Zeugen und Experten, im Rückgriff auf reale Straftatsbestände der Schweizer Rechtsordnung. Die Anklage lautet auf Verletzung von Art. 258 (Schreckung der Bevölkerung), Art. 261 bis (Diskriminierung) und Art. 275 (Gefährdung der verfassungsmässigen Ordnung). Ein Prozess mit offenem Ausgang, durchgeführt mit der Unmittelbarkeit von Schöffengerichten und dem Pathos amerikanischer Gerichtsfilme.
In den Zeugenstand tritt ein Figurenkabinett der Schweizer (medialen) Realität der letzten zwei Dekaden. Nicht nur renommierte Experten aus Politik und Journalismus werden berufen, sondern auch die Typen und Persönlichkeiten, die Protagonisten jenes Schweiz- und Europabildes, das die „Weltwoche“ seinen Lesern Ausgabe für Ausgabe präsentiert. Existieren die in der „Weltwoche“ skizzierten Zustände tatsächlich – und seit wann? Was ist mit der Schweiz geschehen zwischen der Fast-Abschaffung der Armee 1989 und der Minarettiniative zwanzig Jahre später? Was ist dieser „Weltwoche“-Kosmos eigentlich konkret, und kann er einem öffentlich geführten Kreuzverhör standhalten? Gibt es den IV- Betrüger, den Subventions-Abzocker, den „Realisten“ (der mal links war, bevor er gemerkt hat, wie es eben „wirklich“ läuft), den machthungrigen und intoleranten Imam, den elitären, die Basis verachtenden Cüplisozialisten, den weltfremden altlinken Professor und den „hässlichen, lauten Deutschen“, der immer gleich den Faschismusvergleich auspackt, wenn jemand nicht seiner Meinung ist? Wird die Schweiz schwulisiert und von einer korrupten Classe Politique verraten und verkauft? Was wird uns vom übertoleranten, moralinsauren, linksalternativen Mainstream verheimlicht?
Und wie steht es, auf der anderen Seite, um jene „finsteren Financiers“ hinter der „Weltwoche“, existiert diese viel beschworene, je nach Sichtweise un- oder urschweizerische Allianz aus Journalisten, Politikern und Grossunternehmern überhaupt – und wenn ja, zu welchem Zweck? Was ist eigentlich diese „Wirklichkeit“, von der die „Weltwoche“ sagt, es sei ihr „Geschäftsmodell“? Handelt es sich dabei um zynisch verdrehte Fakten, anhand derer die Schweizer Bevölkerung passend zum jeweiligen Wahlkampfthema knapp rechts an der Schweizer Verfassung vorbei gelotst wird? Oder eben doch um beinhart betriebenen Investigationsjournalismus, der auf überholte Denkverbote und die Sensibilitären selbsternannter Minderheiten keine Rücksicht nimmt?
„Die Zürcher Prozesse“ nehmen die Debatte um die umstrittenste Zeitschrift der Schweizer Pressegeschichte zum Anlass, die Akteurinnen und Akteure einer Gesellschaft im Umbruch auf die Bühne zu bringen – ein Pandämonium der Meinungen, eine Comédie Humaine der Schweiz, ein Rückblick auf zwei Jahrzehnte politischer und gesellschaftlicher Auseinandersetzungen – ein Schau-Prozess mit unvorhersehbarem Verlauf.