IIPM
Das IIPM – International Institute of Political Murder wurde vom Regisseur und Autor Milo Rau im Jahr 2007 mit Sitz in der Schweiz und in Deutschland gegründet zur Produktion und Verwertung seiner Theaterinszenierungen, Aktionen und Filme. Die bisherigen Produktionen des IIPM, die in zahlreichen Theatern, Museeen und Kinos Deutschlands, Belgiens, Frankreichs, der Schweiz, Afrikas, Österreichs, der USA und Rumäniens zu sehen waren, stießen international auf große Resonanz und stehen für eine neue, dokumentarisch und ästhetisch verdichtete Form politischer Kunst.
In In- und Ausland bekannt wurden Milo Rau und das IIPM mit dem Theater-/Filmprojekt „Die letzten Tage der Ceausescus“ (2009/10), einer Reinszenierung des Schauprozesses gegen das rumänische Diktatorenehepaar Ceausescu. Die Produktion, die u. a. auf der Longlist fürs Berliner Theatertreffen 2010 stand, für den Prix de Soleure als bester Schweizer Film des Jahres nominiert war (Koproduktion: NFP Berlin / Langfilm Zürich) und ans Festival d‘Avignon eingeladen wurde, hatte einen Gerichtsprozess des letzten lebenden Sohnes der Ceausescus gegen das IIPM zur Folge, der aktuell in die dritte Instanz geht. „’Die letzten Tage der Ceausescus’ ist ein erster Schritt der rumänischen Gesellschaft, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen“, schrieb die rumänische Wochenzeitung ‘Revista 22′, Alexander Kluge bezeichnete das Projekt als “ergreifendes Realtheater in der Tradition von Peter Weiss.”
Für eine breite Diskussion sorgte auch das mehrjährige Projekt „City of Change“ (2010/11). Eine vom IIPM eingesetzte Interimsregierung für die Ostschweizer Stadt St. Gallen löste mit ihrer Forderung nach einer sofortigen Einführung des Ausländerstimmrechts eine hitzig geführte Debatte um die Zukunft der westlichen Demokratien im Migrationszeitalter aus. Bereits die Vorankündigung des “exzessiv demokratischen Projekts” (WOZ) führte in St. Gallen zum “Ausnahmezustand” (Schweizer Fernsehen) und hatte eine nationale Medienkampagne, mehrere Eingaben im Parlament und ein vorübergehendes Verbot des Projekts zur Folge. Wie auch bei “Die letzten Tage der Ceausescus” erweiterten ein Theorieband, ein Film und eine Reihe von Konferenzen die “City of Change” zum interdisziplinären und gesamtgesellschaftlichen Ereignis.
Auf Tour durch Ruanda, Österreich, Deutschland, Belgien, Frankreich, die Niederlande, Norwegen, Japan und die USA ist momentan „Hate Radio“, ein Theaterprojekt zur Rolle des Senders RTLM im ruandischen Genozid 1994, das u. a. zum Berliner Theatertreffen 2012 und zum Festival d’Avignon 2013 eingeladen wurde. “Vergleichen kann man dieses Stück mit gar nichts. Auch wenn man seit dem Vietnamkrieg um den Zusammenhang von Rock, Drogen, Mord und Massaker weiß, und Peter Weiss’ Ermittlung kennt, bietet das keinen Halt, aus dem man kulturell abgekühlt sich diesem Abend nähern könnte”, schrieb Cord Riechelmann (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung), und Peter Laudenbach (Süddeutsche Zeitung) urteilte: “Es ist ein gespenstischer Abend. Was Milo Rau unternimmt, wenn Angehörige der Tutsi-Minderheit, Überlebende als Darsteller zu Moderatoren des Hassradios werden, ist ein atemberaubender Perspektivwechsel. So ist Theater kein bloßes Transportmittel dokumentarischen Materials, sondern wird als Medium selbst Ort der Aufklärung.“ In Kooperation mit dem Schweizer Fernsehen ist aktuell eine Filmfassung des Projekts in Vorbereitung, die Premiere ist für Frühjahr 2012 geplant.
Für internationales Medienecho und eine bis heute nicht abgeflaute Debatte über die gesellschaftliche Sprengkraft politischer Kunst sorgten auch die Projekte “Breiviks Erklärung” (der öffentliche Filmdreh der Verteidigungsrede Anders B. Breivik vor dem Osloer Gericht) und “Die Moskauer Prozesse” (die dreitägige Wiederaufnahme von Schauprozessen gegen Künstler im Putin-Russland, die mit einem knappen Freispruch der beteiligten Künstler endete). Während die 15-stündige Videoinstallation zu den “Moskauer Prozessen” aktuell durch verschiedene europäische Städte tourt (u. a. Wiener Festwochen, Kunstenfestivaldesarst Brüssel, Konzert Theater Bern), ist auf Winter 2013/14 die Kinofassung des Projekts in Vorbereitung.
Bisher drei Ausstellungen (Kunsthaus Bregenz, migrosmuseum für gegenwartskunst Zürich, HMKV Dortmund) reflektierten die Arbeit Milo Raus und des IIPM und positionierten sie im Kontext des ästhetischen und politischen Ansatzes des IIPM.
www.international-institute.de
Milo Rau, * 1977 in Bern, studierte Soziologie, Germanistik und Romanistik in Paris, Zürich und Berlin, u. a. bei Tzvetan Todorov und Pierre Bourdieu. Ab 1997 erste Reportagereisen (Chiapas, Kuba), ab 2000 tätig als Autor für die NZZ, ab 2003 Arbeit als Regisseur und Autor im In- und Ausland, u. a. am Maxim-Gorki-Theater Berlin, Staatsschauspiel Dresden, HAU Berlin, Theaterhaus Gessnerallee Zürich, Teatrul Odeon Bukarest und Beursschouwburg Brüssel. Milo Rau gründete im Jahr 2007 die Theater- und Filmproduktionsgesellschaft IIPM, die er seitdem leitet. Seine Theaterinszenierungen und Filme wurden zu den wichtigsten nationalen und internationalen Festivals eingeladen – 2012 u. a. ans „Berliner Theatertreffen“, ans „Noorderzon Festival Groningen“ und ans Festival „Radikal Jung“, wo er mit dem Regie- und Kritikerpreis ausgezeichnet wurde. Neben seiner Arbeit für Bühne und Film ist Milo Rau als Dozent für Regie, Kulturtheorie und soziale Plastik an Universitäten und Kunsthochschulen tätig. Seine Inszenierungen, Aktionen und Filme (u. a. “Montana”, “Die letzten Tage der Ceausescus”, “Hate Radio”, “City of Change”, “Breiviks Erklärung”, “Die Moskauer Prozesse”, “Die Zürcher Prozesse”) wurden u. a. ans Festival d’Avignon eingeladen, zum Prix de Soleure nominiert und touren durch die ganze Welt. Das deutsche Wochenmagazin “Der Freitag” nannte ihn kürzlich den “umstrittensten Theaterregisseur seiner Generation”.