• BLOG
  • ABOUT
  • IIPM
  • MATERIAL
  • CONTACT
  • FEUILLETON
  • TICKER

Rolf Bossart: Rassismus im Toggenburg

Toggenburg_bei_Starkenbach

Ein Anklagepunkt bei den Zürcher Prozessen ist der Verstoss gegen die Antirassismus Strafnorm. Doch was hat es auf sich mit dem Vorwurf des Rassismus in der Schweiz? Wie wird er erhoben und was sind die Reaktionen darauf? Folgender Fall bietet reichen Anschauungsunterricht, worum es dabei gehen kann und weshalb die Dinge komplex sind.

Im Jahr 2005 wurde ein Ehepaar im Toggenburg Opfer von rassistischen Beschimpfungen. Eine schwarze Frau aus Südafrika und ihr Schweizer Ehemann erhielten Briefe mit folgenden Inhalten: „Bleib dort wo du bist mit den Niggern / Hier wollen wir keine Klugscheisser vom Busch als Arzt mit schwarzen Pfoten / Wir machen euch das Leben zur Hölle.“ (Der Historiker Georg Kreis beschreibt diesen Fall ausführlich in seinem Buch „Kein Volk von Schafen – Rassismus und Antirassismus in der Schweiz“.)

Zeitung und TV berichteten prominent über die rassistischen Attacken. Breite Teile der Bevölkerung solidarisierten sich mit den Opfern in einer Demo. Man fühlte sich von aussen angeschwärzt. Selbstverständlich war man bemüht, den Schaden in Grenzen zu halten und hoffte auf eine Einzeltäterschaft, damit nicht das ganze Tal in Rassismusverdacht gerate. Hannes Nussbaumer nährte genau diesen Verdacht im Tages Anzeiger, indem er von anderen rassistischen Vorfällen im Toggenburg berichtete. Die Täterin aber wurde ermittelt: Eine ehemalige Patientin des Arztes hatte die Briefe geschrieben.

Zwei Monate später erschien in der Weltwoche ein Artikel von Alex Baur, worin er den Spiess umdrehte und die Schuld dem Arzt zuschob, der die besagte Patientin unsachgemäss behandelt habe und diese sich wohl über diese Attacken zu wehren gewusst hätte. Statt „Rassismus im Toggenburg“ könne man jetzt „Unfähiger Therapeut und arme Frau im Toggenburg“ titeln, schrieb Andreas Fagetti im St. Galler Tagblatt. Er brachte damit die politische Wirkung auf den Punkt, die Baurs Artikel haben würde. Toni Brunner jedenfalls, damals Chef der St. Galler SVP, hatte verstanden und liess den Weltwoche-Artikel als Inserat in alle Toggenburger Haushalte verteilen.

Andreas Fagetti hat mit grosser Ausdauer in diesem Fall recherchiert und brachte mehrere Ungereimtheiten bei den Polizeiuntersuchungen und im Bericht von Alex Baur zu Tage. Beispielsweise gab es DNA-Spuren vom Ehemann auf den Briefen, denen die Polizei nicht weiter nachgegangen war. Sie hätten wohl die These von der psychisch gestörten Frau als Einzeltäterin ins Wanken gebracht.  Fagetti fand auch heraus, dass die Frau bereits in einem früheren Fall Drohbriefe versandt hatte, was Baur in seinem Bericht unterschlagen hatte; seine These von der „Notwehr“ der armen Patientin hätte damit wohl nicht mehr gestochen. Zudem ist Baurs Empathie für die Täterin erstaunlich, entschuldigte er ihr Fehlverhalten doch mit fremdbestimmten Erlebnissen in der Vergangenheit. Eine Entschuldigung, die in der Weltwoche normalerweise in Frage gestellt und mit Hinweis auf die Eigenverantwortung der Täter abgewiesen wird.

Schliesslich veröffentlichte Baur im St. Galler Tagblatt einen langen Leserbrief als Gegendarstellung zu Fagettis Berichterstattung. Eine Antwort darauf wurde Fagetti verweigert. Überhaupt bedeutete ihm der Chefredaktor des St. Galler Tagblatts, das er den Fall nun ruhen lassen solle. Wollte man – wohl der heterogenen Leserschaft zuliebe – es nicht mehr allzu genau wissen? Das Toggenburg war ja rehabilitiert. Was die rassistischen Briefe vorbereitet hatten, vollendete der Vorwurf der krassen Fehlbehandlung, der die Weltwoche erhob: Der Arzt ist bald nach diesen Vorfällen mit seiner Familie ausgewandert. Und Toni Brunner konnte sich als Verteidiger seiner Heimat gegen Verleumdung empfehlen.

Wollte man aus der Distanz diesen Fall beurteilen, so müsste man folgende Aspekte berücksichtigen:

1.    Es gibt deshalb eine rechtliche Grundlage in der Schweiz, um ethnische Minderheiten vor rassistischen Attacken zu schützen, weil es solche Attacken gibt. Die Medien haben entsprechend einen Auftrag, solche Vorfälle publik zu machen. Andererseits gibt es verschiedene Reizwörter, die den Medien erhöhte Aufmerksamkeit zusichern und die Versuchung daher gross ist, diese im Zweifelsfalle auch unbedacht in den Vordergrund zu rücken. Rassismus ist so ein Wort.

2.    Es gibt ein legitimes Misstrauen der Landbevölkerung gegen Besserwisser aus der Stadt, die schnell mit ihren Kategorien zur Hand sind, ohne sich ums örtliche Mikroklima zu scheren. Andererseits gibt es ein legitimes Misstrauen der Journalisten gegen Behördenfilz und implizite Komplizenschaft der Bevölkerung. Je kleiner die Verhältnisse, desto grösser die Berechtigung für dieses Misstrauen.

3.    Meistens sind es psychisch „gestörte“ Einzeltäter, aber die schnelle These von der Einzeltäterschaft ist der Wunsch, die Sache sauber erledigen zu können und das instinktive Zusammenrücken der Bevölkerung angesichts einer drohenden Kollektivschuld.

4.    Selbstverständlich trifft die Toggenburger keine explizite Schuld an diesem Fall und selbstverständlich  ist das Toggenburg kaum signifikant rassistischer als andere Regionen. Andererseits gilt zu bedenken, was Georg Kreis zur Verstrickung der Gesellschaft in rassistische Vorkommnisse schreibt: „Das gestörte Handeln wird in solchen Fällen als irrational bezeichnet. Derweil ist dieses Handeln insofern durchaus rational, als es der gesellschaftlichen Ratio folgt, die (…) direkt und indirekt immer wieder die Positionen benennt, an denen man sich vergreifen möge, wenn man ein irrationales Protestbedürfnis hat. Das gesellschaftliche Umfeld ist nicht verantwortlich für gestörte Täter, es hat aber eine gewisse Verantwortung gegenüber den von der Gesellschaft vorweg benannten Adressen, derer sich die Täter dann bedienen.“

5.    Es gilt hier und auch bei anderen Fällen: Wo Rassismus gerufen wird, geht es nicht nur um Rassismus, sondern sehr oft auch um andere Dinge. Doch ebenso gilt: Wer nur auf diese anderen Dinge hinweist, dem geht es wohl auch darum, vom Rassismus zu schweigen.



FOLLOW US

  • Facebook
  • Twitter
  • IIPM
  • Feuilleton

INSTITUTE HOMEPAGE

ARTICLES

  • “Breiviks Erklärung” einmalig in Zürich
  • Rolf Bossart: Da chönt nach hine loos goh!
  • Rolf Bossart: Rassismus im Toggenburg
  • Rolf Bossart: Was ist eigentlich ein Liberalfaschist?
  • Rolf Bossart: Die Herrschaft der Fakten
  • Die Zürcher Prozesse
  • TICKER

ARCHIVE

  • April 2013
  • March 2013
  • February 2013
© 2013 die-zuercher-prozesse.ch. All Rights Reserved. Powered by Wordpress.